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»Ich trinke auf den großen, letzten
und rein ideellen Nobelpreis«

Zum 90. Jahrestag der Verleihung des Literaturnobelpreises an Gerhart Hauptmann

Anläßlich des 140. Geburtstags von Gerhart Hauptmann am 15. November dieses Jahres sei im Spiegel zeitgenössischer Berichte eines bedeutsamen Ereignisses in seinem Leben gedacht, der Verleihung des Literaturnobelpreises 1912.

Am 9. November 1912 wußten die gut unterrichteten »Münchner Neuesten Nachrichten« in der Rubrik »Literatur und Wissenschaft« zu berichten: »Neuerdings wird aus Stockholm gemeldet, daß das Komitee zur Verleihung des literarischen Nobelpreises beschlossen habe, den Preis dem deutschen Dichter Gerhart Hauptmann zu verleihen. Die endgültige Entscheidung sei erst in der nächsten Woche zu erwarten.« Und im Nachrichtenteil der Abendausgabe der Berliner Zeitung »Der Tag« vom 15. November war dann als Telegrammtext des Stockholmer Korrespondenten zu lesen: »Die schwedische Akademie der Wissenschaften hat den diesjährigen Nobelpreis für Literatur, der 140,476 Kronen (etwa 157,000 M) beträgt, dem Dichter Gerhart Hauptmann an dessen heutigem 50. Geburtstag verliehen ...« Sie sieht darin »eine fei­ne Huldigung des Nobelpreis-Komitees für das Geburtstagskind Gerhart Hauptmann«. Weiter erfahren wir in diesem Artikel, daß der Dichter mit seiner Gattin nach Berlin gekommen und im Hotel Adlon abgestiegen ist und daß ihm unzählige Glückwünsche, Briefe und Telegramme, nebst kostbaren Blumenspenden ins Hotel und nach Agnetendorf geschickt worden sind.

Einer der ersten Gratulanten an diesem Tag war der todkranke und keine zwei Wochen später verstorbene Dr. Otto Brahm, der Direktor des Berliner Lessing-Theaters und langjährige Weg­bereiter und -begleiter Hauptmanns. Er hatte 1889 dessen Erstlingswerk »Vor Sonnenaufgang« auf die Bühne gebracht und danach fast jedes seiner weiteren Stücke. In einem am 15. November im illustrierten Teil der nämlichen Zeitung veröffentlichten Brief erinnerte Brahm an dieses »Tauf- und Ehrenamt« und versprach, als Geschenk einen Zyklus von zwölf Werken aus Hauptmanns dramatischem Schaffen in der Zeitfolge ihrer Entstehung aufrollen zu wollen. In der gleichen Ausgabe der Zeitung huldigte der große Theaterkritiker Al­fred Kerr seinem schlesischen Landsmann mit einem Gedicht; hier die Eingangs- und Schlußverse desselben:

Seit Hebbel von der Welt gefahren,
Blieb Deutschland fahl. Der Himmel schwieg.
Bis jäh, vor dreiundzwanzig Jahren,
Dein junger Stern durchs Dunkel stieg.

Ein Bote kamst du, auserlesen,
Das Aug’ erhellt von fremdem Schein.
Hab’ Dank. Du bist mir viel gewesen –
Und wirst es morgen wieder sein.



Tags darauf, am 16. November 1912, brachte auch »The New York Times« die Nachricht von der Nobelpreisverleihung an Gerhart Hauptmann. Der ungenannte Redakteur glaubte jedoch orakeln zu müssen, daß keines seiner Werke auf längere Sicht Bestand haben dürfte und ein unvoreingenommener Be­trachter der Literatur kaum davon würde überzeugt werden können, daß Hauptmann ein großer Schriftsteller auf der Linie von Schiller und Lessing als Dramatiker und vergleichbar mit Goethe oder Heine sei, weil er sein Schaffen nicht in den Dienst eines die Jahrhunderte überdauernden Ideals gestellt habe. Nichtsdestoweniger gab es in New York bereits dazumal eine von der dortigen Germanistischen Gesellschaft zusammen mit dem Deutschen Haus ausgerichtete reichhaltige Gerhart-Hauptmann-Ausstellung zum 50. Geburtstag des Dichters und zur Verleihung des Nobelpreises; und pikanterweise wurde er in New York, von der Columbia Uni­versity, auch noch 20 Jahre später – im »Goethe-Jahr« 1932 – durch eine sein Leben und Werk würdigende Ausstellung geehrt sowie zum Festredner der dortigen Goethe-Feier ausersehen und mit der Ehrendoktorwürde ausge- zeichnet.

Den Literaturnobelpreis 1912 hat Gerhart Hauptmann am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, im Festsaal der Musikakademie der schwedischen Hauptstadt Stockholm aus der Hand des schwedischen Königs Gustav V. empfangen – »in Anerkennung seiner reichen, hervorragenden Thätigkeit besonders im Gebiete der dramatischen Dichtung«, wie der Text der Nobelpreisurkunde lautet und auf einem Vorblatt dazu in deutscher Sprache (allgemein in der Landessprache des Laureaten) steht. Auszüge aus der Festrede des Sekretärs der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Hans Hildebrand, auf Gerhart Haupt­mann brachte die »Vossische Zeitung« in ihrer Ausgabe vom 13. Dezember 1912. Dort heißt es u.a.: »In unserer Zeit ist Hauptmann auf dem Gebiete dramatischer Dichtung einer der Allergrößten. Schon durch ›Die Weber‹ erwarb er sich, noch nicht 27 Jahre alt, das Ansehen eines reifen Künstlers. Seinen Ruf hat er später fortwährend befestigt und vergrößert. Seine Schilderungen beruhen auf feinster und genauester Wahrnehmung der Menschen und der Verhältnisse. Jede der von Hauptmann geschilderten Gestalten ist eine individuell ausgeprägte Persönlichkeit; nirgends finden wir bei Hauptmann leblose Typen, nie eine Spur des bloß Schablonenhaften. Man hat Hauptmann einen großen Realisten genannt. Das Hervorragendste an Hauptmann aber ist der forschende, tief eindringende Blick in das innere Wesen der Menschen...« Aus der Dankesrede, die der Dichter auf dem der Preisverleihung folgenden Festbankett hielt, lassen aus heutiger Sicht, da Europa und die Welt damals an der Schwelle eines großen Krieges standen, folgende Worte besonders aufhorchen: »Die dem Kriege dienende Kunst und Wissenschaft ist nicht die letzte und echte, die echte und letzte ist es, die der Friede gebiert und die den Frieden gebiert. Und ich trinke auf den großen, letzten und rein ideellen Nobelpreis, den die Menschheit sich dann zusprechen wird, wenn die rohe Gewalt unter den Völkern eine ebenso verfemte Sache geworden sein wird, als es die rohe Gewalt unter den menschlichen Individuen der zivilisierten Gesellschaft bereits geworden ist.«

Dem aus Stockholm zurückgekehrten Dichter bereitete die Berliner Studentenschaft einen triumphalen Empfang, indem sie mit 48 Kutschen vor dem Hotel Adlon vorfuhr und ihn und seine Gattin im vierspännigen Wagen über die Prachtstraße »Unter den Linden« zu der nachmittägigen Extravorstellung der klassischen Diebeskomödie »Der Biberpelz« ins Lessing-Theater brachte. Dort huldigten die Studenten dem Dichter und dem Stück mit »prasselnden Beifallssalven« und »begeistertem Trampeln« (wie die Zeitungen schrieben) und stimmten nach dem frohen Spiel den Hymnus »Gaudeamus igitur!« an. Die »Vossische Zeitung« vom 17. Dezember 1912 stellt dazu resümierend fest: »Es war, ohne Bankett, ohne Festtafel, ohne eigentliche Festreden, ohne Gläserklingen die schönste, bedeutungsvollste Feier des fünfzigsten Geburtstages ...«

Und auf welche Weise, wird man fragen, wartete die schlesische Heimat dem Dichter auf? Der Breslauer Magistrat sandte ein Glückwunschtelegramm an Hauptmann, »dem sich wie keinem bisher die Seele seiner Heimat gläubig offenbart und seines Volkes Herz sich vertrauend erschlossen habe«. Auch die Gemeinde Agnetendorf stellte sich mit einer Glückwunschadresse ein. Die Stadt Hirschberg ernannte ihn gar zum Ehrenbürger. Am schwersten tat sich Hauptmanns Geburtsort Obersalzbrunn. Nachdem die Gemeindevertretung von einer Gratulation absehen wollte, ergriff die dortige Bürgerschaft selbst die Initiative und ließ den Dichter wissen: »Euer Hochwohlgeboren wird es nicht unbekannt geblieben sein, daß die Gemeindevertretung gegen die Stimmen des Gemeindevorstandes es abgelehnt hat, Euer Hochwohlgeboren zum 50. Geburtstag in gebührender Weise zu ehren. Mit Genugtuung kann aber gesagt werden, die Gemeindevertretung hat in diesem Falle nicht den Willen der Bürger vertreten. Unter lebhaften und entrüsteten Protestkundgebungen hat die Bürgerschaft in ihrer Mehrzahl bezeugt, daß sie den Be­schluß nicht billigt und hat binnen wenigen Stunden aus ihrer Mitte heraus es ermöglicht, daß die Gemeinde Obersalzbrunn am 15. November, dem Ehrentage ihres größten Sohnes, nicht fehlte. Indem wir unsere ergebensten Glückwünsche darbringen, überreichen wir Euer Hochwohlgeboren eine Mappe mit Bildern, von der wir hoffen, daß sie eine stete freundliche Erinnerung an die Stätten der Kindheit sein möge.« Den Ehrenbürgerbrief der Gemeinde erhielt der Dichter 20 Jahre später, zu seinem 70. Geburtstag.

Besonders gefreut haben dürfte Gerhart Hauptmann wohl der Glückwunsch eines in den Zeitungsberichten aus dem Jahr 1912 nicht namentlich genannten Freundes, der ihm zwei Flaschen uralten Lafitte mit einem vergilbten Kärtchen schenkte, auf dem stand »Geheim. Rat von Goethe sich bestens empfehlend.«

Am Schluß mögen jedoch des Dichters eigene Worte stehen, mit denen er sich die empfangene Ehrung aus der Rückschau von über 20 Jahren vergegenwärtigte: »Das Ereignis bedeutete für mich eine unabschätzbare Förderung ... In mein Leben kam eine größere Widerstandskraft, die ich schon im folgenden Jahre sehr nötig hatte. [Gemeint sind die Auseinandersetzungen um sein bei der Jahrhundertfeier in Breslau 1913 aufgeführtes »Festspiel in deutschen Reimen – zur Erinnerung an den Geist der Freiheitskriege der Jahre achtzehnhundertdreizehn, -vierzehn und -fünfzehn«.] Die neugewonnene Bewegungsfreiheit öffnete mir jederzeit Italien, wo es mir leicht gelang, drohende Verbitterungen durch Natur und Kunst in ungestörtem Arbeitsfrieden abzuwenden. Leider ist dieser Arbeitsfrieden wiederum ein Jahr darauf, zu­gleich mit dem Weltfrieden, bereits zerstört worden.«




Erschienen in:
»SCHLESIEN HEUTE« 12/2002, Senfkorn-Verlag A. Theisen, Görlitz/Schlesien
»Kulturpolitische Korrespondenz« Nr. 1188 vom 10.11.2002 der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat





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