Die Universitätsbibliothek Würzburg hat im Rahmen eines vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst geförderten Projekts die auf der Reise Pfalzgraf Ottheinrichs von Pfalz-Neuburg im Winter 1536/37 nach Krakau entstandenen fünfzig Ortsansichten aus dem Bestand ihrer Handschriftenabteilung digitalisiert und ins World Wide Web gestellt. Seit Anfang Juli 2008 sind unter »www.ottheinrich.info« die kolorierten Federzeichnungen der auf der Hin- und Rückreise (zu Pferde) berührten Städte und Ortschaften samt einer Karte mit der gut 2200 Kilometer langen Reiseroute zu sehen, die durch Böhmen, Schlesien, Polen und zurück über Berlin, Brandenburg, das heutige Sachsen-Anhalt sowie Sachsen und Thüringen nach Bayern führt. Dazu werden Informationen über Pfalzgraf (später Kurfürst) Ottheinrich und seine Zeit, über den Anlass der Reise und Erläuterungen zu den historischen Ortsbildern gegeben. Bekanntlich hat Angelika Marsch im Schlesischen Kulturspiegel 3/01 über die von ihr in der Universitätsbibliothek Würzburg »ausgegrabenen« ältesten Ansichten Schlesiens berichtet.
Die Web-Präsentation wurde in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl Informatik II der Universität Würzburg realisiert und basiert auf einer im letzten Jahr als Diplomarbeit durchgeführten Implementierungsstudie. Auf diese Weise wird das ganze Album – unter Schonung der lichtempfindlichen Original-Blätter – erstmals einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Wohl zum Schutz vor unkontrollierter Verbreitung der Bilder lässt die Größe der Bildschirmansichten jedoch zu wünschen übrig; eine Zoom-Funktion erlaubt es allerdings, Bildausschnitte (innerhalb des für das jeweilige Bild vorgegebenen Rahmens) zu vergrößern. Durch die Website kann man bequem navigieren. Vom Schloss Neuburg an der Donau, dem Regierungssitz Ottheinrichs, wird zusätzlich eine 3D-Animation geboten.
Nach den zum Online-Projekt gegebenen Informationen sollen die Abbildungen »Interessierten in Ostmitteleuropa die Möglichkeit […] eröffnen, bei der Erforschung dieser einzigartigen Bildquellen mitzuwirken und so zu einer genaueren stadthistorischen und stadtarchäologischen Würdigung der Einzelmotive beizutragen«. Dabei wird geflissentlich übergangen, dass sieben namhafte, auf historisch-topographische Ansichten spezialisierte polnische und tschechische Wissenschaftler bereits an der Interpretation der Ansichten beteiligt waren – wie aus dem von Angelika Marsch mit Josef H. Biller und Frank-Dietrich Jacob 2001 publizierten Kommentarband des zweibändigen Werks »Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 …« hervorgeht. Diesen Autoren ist auch der Aufsehen erregende Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Polen-Reise Ottheinrichs und der Ansichtenfolge zu verdanken; der Bayerische Rundfunk sah darin eine »Kulturhistorische Kriminalgeschichte«. Die Universitätsbibliothek Würzburg, die an diesen Arbeiten nicht beteiligt war, hat die Nennung der damit befassten Personen zunächst für weniger wichtig gehalten und ihre Auffassung erst nach heftigem Widerspruch geändert (mittlerweile ist in vorstehend zitiertem Text von »weiteren Interessierten in Ostmitteleuropa« die Rede).
In diesem Kontext ist ferner anzumerken, dass Frau Marsch die Reisebilder Ottheinrichs in über dreißig Vorträgen in Deutschland, Polen und Tschechien bekannt gemacht und das »Deutsche Kulturforum östliches Europa« mit Sitz in Potsdam ihnen eine Faksimileausstellung gewidmet hat, die in 15 polnischen und tschechischen Städten gezeigt wurde und eine unglaubliche Resonanz bei der Bevölkerung fand; dazu ist unter Mitwirkung von Frau Marsch ein (im Vergleich zum 280 Euro teuren vorgenannten zweibändigen Druckwerk) preisgünstiger dreisprachiger Katalog unter dem Titel »Reise durch Europas Mitte« erschienen. Dieser Ausstellungskatalog aus dem Jahr 2003, der zum Würzburger Bibliotheksbestand gehört, wurde eigenartigerweise ebenfalls erst nachträglich (nach entsprechendem Monitum) für wert erachtet, in das Verzeichnis der im Web-Auftritt genannten einschlägigen Literatur aufgenommen zu werden.
Wenn man im Online-Katalog der Universitätsbibliothek Würzburg nach der grundlegenden Veröffentlichung von Marsch/Biller/Jacob recherchiert, wird man darauf hingewiesen, dass »alle Exemplare des gewählten Titels entliehen« sind und »eine Vormerkung leider nicht möglich« ist. Erst wenn man sich davon nicht abschrecken lässt, findet man in einem zweiten Schritt heraus, dass die Bibliothek offenbar über insgesamt fünf Exemplare dieses Werks verfügt: ein als »nicht ausleihbar« gekennzeichnetes in der »Zentralbibliothek«, ein mit dem Status »entliehen« versehenes am »Sonderstandort / Verwaltung« – die sich beide (um die Verwirrung vollständig zu machen) in einem dritten Schritt als zum »Freihandbestand« des Lesesaals gehörig und (deshalb) »nicht ausleihbar« erweisen – sowie drei weitere in Teilbibliotheken. Je nach Einstiegsweg in den Katalog begegnet einem dieses Versteckspiel in der einen oder anderen Form auch bei der Suche nach der Begleitschrift zur Potsdamer Ausstellung. Warum kann nicht ohne Umschweife vermerkt werden, wie es die Bayerische Staatsbibliothek München bei diesen Werken tut, dass eine »Lesesaalleihe« möglich ist bzw. dass eine Einsichtnahme – auf welche Weise auch immer – gewährleistet werden kann?
Die Web-Darstellung der Ottheinrich-Reise nach Krakau und der dabei von vielen Orten der Reiseroute entstandenen ältesten bekannten Ansichten ist natürlich sehr zu begrüßen. Zu hoffen bleibt, dies sei abschließend festgehalten, dass der Beitrag der tschechischen und polnischen Wissenschaftler an der Interpretation der Bilder, den man sich bei Vergleichen mit den heutigen Stadtansichten in vielen Fällen zu eigen macht, nicht unerwähnt gelassen wird. Rückfragen irritierter Betroffener bestätigen diese Erwartung.