Am Sonntag, dem 9. September 2007, einen Tag nach Mariä Geburt (wo einer alten Bauernregel zufolge die Schwalben wieder »furt« fliegen), feierte die katholische Kirchengemeinde Lubowitz/Łubowice bei Ratibor/Racibórz das 100-jährige Bestehen ihrer Pfarrkirche zur Geburt der hl. Jungfrau Maria. Der Backsteinbau mit neugotischer Ausstattung, der dazumal von Georg Kardinal von Kopp konsekriert wurde, bot nach den Renovierungsmaßnahmen innen und außen, die im Hinblick auf das Jubiläum durchgeführt und rechtzeitig zum Abschluss gebracht wurden, ein prächtiges Bild. In Vertretung des geistlichen Oberhirten der Diözese Oppeln/Opole, Erzbischof Alfons Nossol (der den Papst auf seiner Pilgerreise in den österreichischen Wallfahrtsort Mariazell begleitete), hielt Weihbischof Paweł Stobrawa den Festgottesdienst in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche.
Höhepunkt der Feier war die Enthüllung und Einweihung einer im linken Seitenschiff angebrachten steinernen Gedenktafel zu Ehren des auf Schloss Brzesnitz im gleichnamigen Nachbarort geborenen späteren Breslauer Fürstbischofs (Christoph) Emanuel (Vinzenz) von Schimonsky-Schimoni. Er wurde am 23. Juli 1752, am Tag seiner Geburt, in der damaligen Lubowitzer Pfarrkirche getauft und ist am 27. Dezember 1832 – vor 175 Jahren – in Breslau verstorben. Die Tafel stellt das Pendant zu der im Frühjahr eingeweihten, dem Dichter Joseph von Eichendorff gewidmeten Tafel dar, der an gleicher Stelle die Taufe empfing. Die alte, 1909 abgerissene, erstmals 1679 erwähnte Schrotholzkirche auf dem heutigen alten Friedhof barg auch die Gräber seiner Eltern und früh verstorbenen Geschwister (eine Gedenkplatte für zwei von ihnen ist dort noch zu sehen); an exponierter Stelle gegenüber der Kanzel, nahe dem in die neue Kirche herübergeretteten Taufbecken, hatte die Familie von Schimonsky-Schimoni eine mit ihrem Wappen versehene eigene Bank. Als Gutsnachbarn standen beide Familien in engem freundschaftlichen Kontakt. Die Tagebücher des jungen Joseph von Eichendorff durchziehen viele Hinweise auf gemeinsame Ausflüge, Jagdpartien, Feiern und anderen vergnüglichen Zeitvertreib. Auch mehrere Einladungen des Schülers und Studenten durch den »freundlichen« und »galanten« Breslauer Weihbischof von Schimonsky zum Essen oder zum Ball sind darin verzeichnet.
Von dem – wie Lubowitz – auf einer Uferanhöhe der Oder gelegenen Schloss Brzesnitz sind nach der Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs nur klägliche Mauerreste am Rande des zum undurchdringlichen Gehölz gewordenen ehemaligen Schlossparks übriggeblieben. Von Schloss und Gut hatte die Familie sich schon 1817 getrennt – Lubowitz kam sechs Jahre später unter den Hammer. Die Schimonsky-Schimonis (oder Schimoni/y-Schimonskys, wie sie sich verschiedentlich nannten) sind ein ursprünglich aus Polen stammendes Geschlecht, das seit Ende des 15. Jahrhunderts in Oberschlesien begütert war und im Land viele herausgehobene politische, zu preußischer Zeit auch militärische Positionen innehatte. So war der Großvater des Fürstbischofs Landeskommissar für Schlesien, der Vater Carl Joseph und der ältere Bruder Johann Carl Landrat des Kreises Ratibor und Landschaftsdirektor für Oppeln-Ratibor. In der Zeit, über die Eichendorff in den Tagebüchern berichtet, war Johann Carl Herr von Brzesnitz. Das Gut hatte die erste Frau des Vaters mit in die Ehe gebracht. Daneben soll es in Oberschlesien noch eine Familie von Szymonski gegeben haben, die sogar das gleiche Wappen geführt hat, ohne mit den in Rede stehenden Schimonskys verwandt zu sein.
Die letzten hundert Jahre bis 1945 waren die Schimonskys in Stöblau bei Cosel ansässig (dem heutigen Steblów bei Koźle); die dortigen Liegenschaften hatten sie (wiederum) erheiratet. Das Gut wurde nach der Inbesitznahme Schlesiens durch Polen nach dem Krieg verstaatlicht und liegt nunmehr in Händen eines privaten Pächters. Die Witwe des 1943 verstorbenen letzten deutschen Gutsherren, des Rittmeisters a. D. Ulrich von Schimony-Schimonsky, eine (in Raduň bei Troppau) geborene Gräfin Blücher von Wahlstatt, fand mit ihrer Tochter 1945 für einige Jahre Aufnahme im gräflich Rechbergschen Schloss in Unterelkofen bei Grafing im oberbayerischen Landkreis Ebersberg (nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt).
Emanuel von Schimonsky-Schimoni hatte, wie der eine oder andere aus seiner Familie vor ihm, den geistlichen Stand erwählt. Er besuchte das Katholische Gymnasium und die Hochschule der Jesuiten in Breslau und setzte anschließend das Studium am »Collegium Germanicum et Hungaricum« in Rom fort; dort erlebte er u. a. die Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV. im Jahr 1773. Ehe er in die Heimat zurückkehrte, empfing er 1775 in der Lateranbasilika die Priesterweihe. Nach etlichen Jahren Pfarrdienst in Lohnau (zwischen Lubowitz und dem vorgenannten Stöblau) wurde er Bischofsbeauftragter für den Ratiborer Kreis, Prälat am Breslauer Kreuzstift und stieg zum Domkapitular sowie unter dem neuen Bischof Joseph, Reichsfürst zu Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein, ab 1795 in rascher Folge zum Generalvikar, Weihbischof und Koadjutor auf. 1803 promovierte ihn die Breslauer Hochschule im Rahmen der Feier ihres 100-jährigen Bestehens in der Aula Leopoldina zum Doktor der Theologie (eine Zeremonie, die Eichendorff in seinem Tagebuch unter dem 18. August 1803 lebhaft ausmalt – wobei auch die Freude über den Abschluss des Gymnasiums mitzuschwingen scheint). 1805 wurde Weihbischof Schimonsky Domdekan und nach dem Tod des Fürstbischofs im Jahre 1817 Bistumsadministrator. 1823 – nach Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Preußen – erfolgte seine Wahl zum Fürstbischof, im Jahr darauf die landesherrliche und päpstliche Bestätigung sowie die Inthronisation. Besagte Neuregelung (gemäß »Zirkumskriptionsbulle« von 1821) schreibt die formelle Herauslösung des Erzbistums Breslau aus der Kirchenprovinz Gnesen und u. a. den Hinzugewinn des oberschlesischen Industriegebiets aus dem Bistum Krakau fest.
Schon als Weihbischof und Koadjutor hatte Schimonsky die Geschäfte für den meist abwesenden Fürstbischof zu führen. Das betraf insbesondere die folgenschwere Säkularisation (nach 1810), d. h. die Einziehung der Kirchengüter und die Aufhebung der Klöster, auch die Enteignung des Domkapitels und dessen (vorübergehende) Auflösung. Dem Breslauer Erzbischof selbst verblieb nur der im Österreichischen gelegene Besitz und – trotz des verlorenen säkularisierten Fürstentums Neisse – der Fürstentitel. In diese Zeit fiel ferner die Gründung der Universität Breslau, die 1811 aus der leopoldinischen Hochschule durch Übernahme der in Frankfurt an der Oder aufgelösten »Viadrina« entstand (was ihr u. a. die Fakultät für evangelische Theologie eintrug). Über die Besetzung der (katholisch-)theologischen Lehrstühle und die Priesterausbildung geriet er schon bald mit der preußischen Regierung und ihrem Sachwalter in Schlesien, dem Oberpräsidenten Friedrich Theodor von Merckel aneinander, der dieses Amt von 1816 bis 1820 und von 1825 bis 1845 bekleidete und die Idee des (protestantischen) Staatskirchentums vertrat und gegenüber der katholischen Kirche wenig Verständnis zeigte.
Hinzu kamen Auseinandersetzungen um die von dem Breslauer Theologieprofessor Anton Theiner im Jahr 1826 anonym veröffentlichte Schrift »Die katholische Kirche, besonders in Schlesien, und ihre Gebrechen, dargestellt von einem katholischen Geistlichen«. Darin lehnt er sich – wie in seinen Vorlesungen – gegen die kirchliche Hierarchie und besonders den Apostolischen Stuhl, den Zölibat, kirchliche Zeremonien (die ihm wie »theatralischer Hofdienst« vorkommen), die lateinische Sprache beim Gottesdienst auf und meldet Reformbedarf an. Letzteres machten sich einige Geistliche in einer Eingabe an den Fürstbischof zu eigen, wobei sie ihrem Begehren durch Hinweis auf teilweise schon vorgenommene Neuerungen Nachdruck verliehen (wie den Gebrauch der Muttersprache in der Liturgie – was erst 140 Jahre später durch das Zweite Vatikanische Konzil zur Regel werden sollte). Diesen Forderungen erteilte Fürstbischof Schimonsky unter Androhung kirchlicher Strafen eine entschiedene Absage; einer Bestrafung entgingen die Petenten nur deshalb, weil sie ihr Verlangen schließlich widerriefen und Rückhalt bei Oberpräsident Merckel fanden. Zwischenzeitlich hatte man von den schlesischen Querelen auch in Rom erfahren, so dass der Papst sich genötigt sah, das von den allgemeinen kirchlichen Normen abweichende Gebaren zu verurteilen und den Bischof zur Wachsamkeit aufzurufen. Als papsttreuer, »dem Obrigkeitsdenken und der Tradition verpflichtet[er]« ehemaliger »Germaniker« hätte er – rückblickend betrachtet – wohl gar nicht anders handeln können. Im übrigen musste er jahrelang ohne Domkapitel auskommen, das förmlich erst wieder 1931 errichtet werden konnte.
Für den Gedenkstein zu Ehren von Fürstbischof Emanuel von Schimonsky-Schimoni in der Lubowitzer Pfarrkirche versuchte ich dessen vielfältiges Wirken durch folgende Formulierung auf einen kurzen Nenner zu bringen: In seinem geistlichen Amt verstand er sich als gestrenger Hüter der römisch-katholischen Traditionen. Bei Ausführung der Inschrift wurde das letzte Wort dann allerdings in den – nach Auffassung des Ortspfarrers – »vieldeutigeren« Singular gesetzt und das Adjektiv gestreng, das für dortiges Empfinden »etwas anstößig« geklungen hätte, durch getreu ersetzt. Ansonsten ist der Vorschlag unverändert umgesetzt worden – wie dies zuvor schon mit dem auf Anraten von Erzbischof Nossol verfassten Text für die Eichendorff-Gedenktafel geschehen war, die die Kirchengemeinde Anfang des Jahres gestiftet hatte. Da es für die Schimonsky-Tafel keine Sponsoren gab, übernahm ich auch diesen Part. Beide Tafeln wurden von dem Ratiborer Steinmetzbetrieb Wiglenda hergestellt, der seinerzeit den Sockel für das Lubowitzer Eichendorff-Denkmal geschaffen hat.
Im Generalvikariat Breslau hing früher ein Ölgemälde, das den Fürstbischof in einem Lehnstuhl sitzend, mit dem vom preußischen König verliehenen Roten Adlerorden erster Klasse zeigt; über den Verbleib des Bildes ist nichts bekannt. Das Diözesanmuseum Breslau besitzt aber noch ein anderes, mit Ölkreide gemaltes Portrait von ihm in einem profilierten Goldrahmen hinter Glas, das als Geschenk eines »Fräulein M. von Larisch, Breslau« gekennzeichnet ist. Auf dem Bild ist er im Fürstenmantel mit Hermelinumhang dargestellt (darauf das goldene Brustkreuz an ebensolcher Kette und der angesteckte Orden), auf dem Tischchen neben sich die Insignien seines Amtes: Mitra und Fürstenhut; die Rückenlehne des Polsterstuhls, vor dem er steht, trägt sein bischöfliches Wappen; im Fenster des Raums sieht man einen der Domtürme. Von diesem Bild, das entgegenkommenderweise aus dem Rahmen genommen und vom spiegelnden Glas befreit wurde, konnte ich die hier wiedergegebene Aufnahme machen. Daneben verwahrt das Museum noch eine Graphik des Fürstbischofs mit strenger Miene (in allerdings schlechtem Erhaltungszustand), die anlässlich seines Goldenen Priesterjubiläums im Jahr 1825 entstanden ist.
Der Literatur ist zu entnehmen, dass sich das Grab von »Emanuel de Schimoni Schimonsky« – so die Schreibweise des Namens auf der marmornen Grabplatte – im Breslauer Dom vor dem silbernen Dreifaltigkeitsaltar, links vom Aufgang zum Hochaltar befindet. Den Dreifaltigkeitsaltar gibt es seit den Kriegszerstörungen nicht mehr, und von dem Grab wusste niemand etwas, den ich danach fragte – auch der Leiter des Diözesanmuseums und -archivs nicht; anstelle jenes Altars steht am ersten nördlichen Chorpfeiler jetzt ein Marienaltar. Unter den seitlich davon vor der Statue des hl. Hieronymus aufgestellten Kniebänken fand ich mit Hilfe einer starken Lampe eine in das Bodenpflaster eingelassene annähernd quadratische Platte, auf der nur noch einzelne Buchstaben der einstigen Inschrift bruchstückhaft zu erkennen waren, u. a. ein »S« und ein »y«. Hier muss der Fürstbischof beigesetzt worden sein.
Zu seinem bevorstehenden 175. Todestag am 27. Dezember 2007 wäre es angebracht, wie ich mir anzuregen erlaubt habe (zuletzt gegenüber dem jetzigen Amtsinhaber Erzbischof Gołębiewski persönlich), die Grabinschrift zu erneuern; auch für die Kosten der handwerklichen Arbeiten wollte ich aufkommen. Mit meinem bereits vor Monaten unterbreiteten Vorschlag bin ich aber auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, die auch durch Nachfragen nicht zu überwinden war. Dabei ist der aus diversen Quellen bekannte Text der Grabinschrift beileibe nicht in deutscher Sprache sondern in der Kirchensprache Latein abgefasst; nach dem Buch »Breslauer Bischöfe« von Karl Kastner aus dem Jahr 1929 lautet er:
Emanuel de Schimoni
Schimonsky D. G. Pr. Epũs. Wratisl.*
natus XXIII. Julii MDCCLII.
denatus XXVII. Decbr. MDCCCXXXII.
hoc in loco sepultus requiescit.
Für das beharrliche Schweigen der kirchlichen Würdenträger mag es verschiedene Beweggründe geben: Möglicherweise hat man die Inschrift inzwischen in aller Stille und auf eigene Kosten erneuert. Wie dem auch sei; des vor 175 Jahren verstorbenen Fürstbischofs könnte zumindest mit einem Gottesdienst gedacht werden – an seinem Todestag oder am 26. Dezember, seinem Namenstag. Dies ist jedoch nicht der Ort, darüber zu spekulieren; man wird ja sehen…
Abschließend sei vielmehr darauf hingewiesen, dass der Name Emanuel aus dem Hebräischen kommt und »Gott ist mit uns« bedeutet und dass diese Worte auch als Losung über dem Festgottesdienst standen, der den Ausgangspunkt dieses Beitrags bildet.
Erschienen in:
»SCHLESIEN HEUTE« 1/2008, Senfkorn-Verlag A. Theisen, Görlitz/Schlesien